Besetzungsrügen am BGH – Was macht Sitzgruppe 3?

Bisher haben sich Sitzgruppe 1 und Sitzgruppe 2 des BGH zur Frage der vorschriftswidrigen bzw. verfassungswidrigen Besetzung des 2. Strafsensats des Bundesgerichtshofs geäußert. Dazu gibt es die Pressemitteilung des BGH 04/2012. Diese Pressemitteilung geht an der Sache vorbei, da sie sich ausschließlich zu der Frage verhält, ob die Besetzung des 2. Strafsenats mit dem kommissarischen Vorsitzenden Prof. Dr. Thomas Fischer vorschriftswidrig war oder zu werden drohte, was ich bereits hier berichtet hatte.

Dass die Pressemitteilung zugleich tendenziös ist und das Sachlichkeitsgebot verletzt, weil sie bei widerstreitenden Auffassungen innerhalb des BGH eindeutig Stellung bezieht, ist auf delegibus schön dargestellt.

Die dort ebenfalls vertetene Auffassung, dass die Anknüpfung an die Arbeistkraft des Richters der falsche Ausgangspunkt sei, ist natürlich vordergründig nicht von der Hand zu weisen, da rein faktisch der Vorsitzende natürlich die Terminierung der Verfahren „drosseln“ könnte, und so in jedem Senat 75% der Arbeitsleistung erbringen könnte. Tatsächlich ist diese Betrachtung jedoch ein rein theoretischer Ansatz, denn sie übersieht den im Strafverfahren geltenden Beschleunigungsgrundsatz, welcher die Justiz auch zur Schaffung der organisatorischen Voraussetzungen verpflichtet, damit Strafverfahren – auch Revisionsverfahren – in angemessener Zeit entschieden werden können.

Würde der Vorsitzende also eine entsprechende „Drosselung“ vornehmen, so würde sich gerade dadurch der rechtswidrige Zustand realisieren bzw. vertiefen, der durch die in BGHZ 37, 210 aufgestellte 75% Regelung vermieden werden soll. Darüber hinaus wäre eine solche Verfahrensweise jedenfalls evident verfassungswidrig und würde zudem gegen Artikel 6 Absatz 1 Satz 1 EMRK verstoßen.

Der Streit am BGH bleibt jedoch bereits deswegen spannend, da es ja jedenfalls eine Sitzgruppe gibt, die sich als vorschriftswidrig besetzt betrachtet hat. Die Entscheidungsgründe dieses Beschlusses dürften für alle mit der Frage Beschäftigten interessant sein und werden jedenfalls von mir mit Spannung erwartet. 

Ebenfalls spannend ist die Frage, wie sich die Sitzgruppe 3 des 2. Strafsensats entscheiden wird. Eine entsprechende Entscheidung ist mir jedenfalls bisher nicht bekannt. Ich habe jedenfalls die entsprechende Rüge nunmehr auch in einem Revisionsverfahren angebracht, für welches diese Sitzgruppe zuständig ist. Also, abwarten!

Besetzung des 2. Strafsenats – Offizielle Pressemitteilung des BGH erschienen

Seit gestern liegt nunmehr eine offizielle Pressemitteilung des Bundesgerichtshofs zur Frage des derzeitigen „Besetzungslottos“ im 2. Strafsenat vor. In der Pressemitteilung des BGH 04/2012 heisst es unter anderem:

Mit dem Geschäftsverteilungsplan für das Jahr 2012 hat das Präsidium des Bundesgerichtshofs – ein aus zehn gewählten Richtern sowie dem Präsidenten bestehendes Organ richterlicher Selbstverwaltung – beschlossen, dem Vorsitzenden des 4. Strafsenats zugleich die Aufgaben des Vorsitzenden im 2. Strafsenat zu übertragen. Grund für diese Entscheidung ist die gesetzliche Regelung des § 21f GVG und die Auslegung, die diese Vorschrift durch die höchstrichterliche Rechtsprechung erfahren hat.

Gemäß § 21f Abs. 1 GVG ist der Vorsitz in einem Spruchkörper des Bundesgerichtshofs von einem Vorsitzenden Richter zu führen. Der planmäßige stellvertretende Vorsitzende darf die Geschäfte des Vorsitzenden, wenn die Stelle etwa nach dessen Ausscheiden vakant geworden ist, für eine gewisse Übergangszeit führen (vgl. hierzu Bundesverwaltungsgericht – 11. Juli 2001, AZ. 1 DB 20/01; Bundessozialgericht – 29. November 2006, AZ. B 6 KA 34/06 B; Bundesfinanzhof – 21. Oktober 1999, AZ. VII R 15/99; Bundesgerichtshof – 13. September 2005 AZ. VI ZR 137/04). Kann die Stelle nach Ablauf dieser Zeit nicht mit einem ständigen Vorsitzenden besetzt werden, muss das Präsidium Vorsorge treffen, etwa – wie geschehen – durch die vorübergehende Übertragung des Vorsitzes auf den Vorsitzenden Richter eines anderen Senats. Entsprechend wird auch bei den anderen obersten Gerichtshöfen des Bundes verfahren.

Die in der Pressemitteilung angesprochene Rechtsfrage und die diesbezüglich mitgeteilten Entscheidungen sind zutreffend wiedergegeben. Das sind die Gründe, welche das Präsidium des BGH zur Änderung des Geschäftsverteilungsplans veranlasst haben mögen. Dabei hat das Präsidium des BGH jedoch zwei Dinge übersehen.
Zum einen ist äußerst fraglich, ob die vorzitierte Rechtsprechung zu einer „gewissen Übergangszeit“ bei der Neubesetzung der Stelle des Vorsitzenden überhaupt anwendbar ist. Denn die ehemalige Senatsvorsitzende Frau Dr. Rissing-van Saan ist

    planmäßig

aus dem Vorsitz des 2. Strafsenats ausgeschieden. In diesen Fällen, auch dazu gibt es Rechtsprechung, muß die Nachfolge möglichst so geregelt werden, dass diese nahtlos erfolgen kann. Wenn die Rechtmässigkeit der Besetzung des 2. Strafsenats mit dem stellvertretenden Vorsitzenden Prof. Dr. Fischer als kommissarischen Vorsitzenden beim Präsidium des BGH daher auf Zweifel stößt muss man die Frage stellen, wieso dies nicht schon im Februar 2011 der Fall gewesen ist.
Zum anderen hat das Präsidium des BGH anscheinend übersehen, dass man eine rechtswidrige Besetzung nicht mit einer anderen rechtswidirigen Besetzung beheben kann. Wieso die aktuelle Besetzung des 2.Strafsenat des BGH rechtswidrig ist, habe ich in dem Artikel Strafsenate des BGH falsch besetzt hier im Blog bereits dargelegt.

Sofern es in der aktuellen Pressemitteilung weiter heißt

Der 4. Strafsenat und eine von drei Sitzgruppen des 2. Strafsenats haben vor dem Hintergrund der dargestellten Rechtslage keinen Zweifel daran, dass die Senate ordnungsgemäß besetzt sind. Sie haben dementsprechend auch nach dem 1. Januar 2012 in Revisionsverfahren verhandelt und entschieden. Anders hat es eine andere Spruchgruppe des 2. Strafsenats gesehen, denen zwei andere Richter angehören. Diese Sitzgruppe hat im Verfahren 2 StR 346/11 die Auffassung vertreten, dass der Senat nicht ordnungsgemäß besetzt ist. In dieser Sache hat der Senat die Hauptverhandlung ausgesetzt.

Mit der daraus entstandenen Situation wird sich das Präsidium des Bundesgerichtshofs in den nächsten Tagen befassen.

wäre es interessant zu erfahren, mit welcher Rechtsauffassung der 4. Strafsenat davon ausgegangen ist, korrekt besetzt zu sein. Der Hinweis darauf, dass man angesichts der „dargestellten Rechtslage“ keinen Zweifel an der richtigen Besetzung habe, ist nichtssagend. Denn die in der Pressemitteilung dargestellte Rechtslage bezieht sich allein auf die Frage, ob die Senatsbesetzung im Jahr 2011 rechtswidrig gewesen ist, nicht auf die aktuelle Fragestellung. Und wie ich oben schon sagte, man kann einem rechtswidrigen Zustand nicht durch einen anderen rechtswidrigen Zustand abhelfen!

„Besetzungslotto“ – 2. Strafsenat des BGH verfassungswidrig besetzt!

lotterie photoIch hatte hier berichtet, dass ich im Rahmen eines Revisionsverfahrens die Besetzung des 2. Strafsenats als fehlerhaft gerügt habe. Über meine Rüge wurde bisher nicht entschieden, allerdings fand wohl gestern der erste Sitzungstag in diesem Jahr statt. Dort hat der 2. Strafsenat des BGH kurioserweise divergierend entschieden, einmal dahingehend, man sei korrekt besetzt, einmal dagingehend, man sei verfassungswidrig besetzt.

Einen Artikel diesbezüglich findet man heute in der SZ. Dort heisst es:

Ein halber Vorsitzender ohne Ernennungsurkunde oder ein doppelter ohne ausreichende Aktenkenntnis: Was nun rechtens ist, weiß selbst der 2. Strafsenat nicht. Am Mittwoch hatte das fünfköpfige Senat – in einer um zwei Richter veränderter Besetzung – nämlich noch einen zweiten Fall zu entscheiden. Das Ergebnis ließ sämtliche Juristen im Saal ratlos zurück. ‚In willkürfreier Auslegung‘ sei man zur Auffassung gelangt, der Senat sei doch ordnungsgemäß besetzt.

(http://www.sueddeutsche.de/55E38m/411469/Richter-mit-Doppelleben.html)

Verrückt! Jetzt hat man nicht nur divergierende Rechtsprechung einzelner Senate, sondern auch innerhalb eines Senats. Für die Revisionsführer heisst es daher wohl derzeit, „Besetzungslotto“ zu spielen. Je nachdem, welche Sitzgruppe des 2. Strafsenats über die Revision zu entscheiden hat wird diese

a) derzeit nicht entschieden, da man nicht korrekt besetzt ist

b) entschieden, weil man korrekt besetzt ist

Die von Variante b) Betroffenen können bei dieser Sachlage natürlich nach „Gewinn“ einer Verwerfung der Revision mit beachtlichen Argumenten eine Verfassungsbeschwerde einlegen.

Photo by C@rin@

Strafsenate des BGH falsch besetzt?

Wie der Spiegel in seiner morgen erscheinenden Ausgabe 2/2012 berichtet, habe ich im Rahmen eines laufenden Revisionsverfahrens die fehlerhafte Besetzung des 2. Strafsenats des Bundesgerichtshofs gerügt. Die Besetzung des 4. Strafsenats ist ebenso fragwürdig.

Dies liegt am neuen Geschäftsverteilungsplan des BGH für das Jahr 2012. Dort heisst es unter anderem:

„B Besetzung der Senate und der Ermittlungsrichterstellen

II. Strafsenate

2. Strafsenat
Vorsitzender Richter            Dr. Ernemann        (außerdem 4. Strafsenat)
am Bundesgerichtshof

4. Strafsenat
Vorsitzender Richter            Dr. Ernemann        (außerdem 2. Strafsenat;
am Bundesgerichtshof                                        die Tätigkeit im 2. Straf-
                                                                           senat geht im Kollisions-
                                                                           fall vor)
…“

Dem bisherigen Vorsitzenden des 4. Strafsenats wurde also nunmehr auch der Vorsitz im 2. Strafsenat zuteil.

Dies ist ein klarer Verstoß gegen Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 Grundgesetz, eine Verletzung des Anspruchs auf den gesetzlichen Richter.Das ist keine Auffassung, die ich mir ausgedacht habe, sondern diejenige des Bundesgerichtshofs selbst.

 

Der Vorsitzende des Strafsenats entscheidet in allen Revisionsverfahren im Rahmen der Beratung zwingend mit, § 139 Abs. 1 GVG. Er muss zudem wesentlichen Einfluss auf die Rechtsprechung und den Geschäftsgang seines Spruchkörpers ausüben. Wenn ein Richter Vorsitzender in zwei Spruchkörpern ist, muss daher sichergestellt sein, dass er einen richtungsweisenden Einfluss auf den Geschäftsgang und die Rechtsprechung seines Spruchkörpers behält. Dazu muss der Vorsitzende mindestens 75% seiner Aufgaben als Vorsitzender auch selbst wahrnehmen und kann sich insoweit nicht von anderen Richtern des Spruchkörpers vertreten lassen.Wer will, kann das im Einzelnen nachlesen in BGHZ 37, 210.

Beim gleichzeitigen Vorsitz in zwei Senaten des BGH muss der Vorsitzende Richter am BGH Dr. Ernemann also mindestens 150% der Arbeitsbelastung eines „normalen“ BGH-Vorsitzenden aushalten. Da ich bisher davon überzeugt war, dass Senatsvorsitzende eines Strafsenats am BGH sicherlich nicht weniger arbeiten als z.B. ein Anwalt (und wir haben bekanntlich keine 40-Stunden-Woche), kann ich mir das beim besten Willen nicht vorstellen.Laut SPIEGEL auch andere Richter am BGH nicht, ebenfalls die ehemalige Vorsitzende des 2. Strafsenats, Frau Dr. Rissing-van Saan. In diesem Sinne titelt der Spiegel dann auch „Der doppelte Richter“.

Ich werde Sie hier weiter auf dem Laufenden halten.

UPDATE 9.01.2012

Hier habe ich nun auch einen Hinweis zum Artikel im SPIEGEL gefunden…