Erstattungsfähigkeit von bzw. Vorschuss auf die Kosten eines Privatgutachtens gem. §§ 46, 47 RVG

papiere photoOLG Hamm – 25 W 94/13

Normen: §§ 33 Abs. 3, 46 Abs. 1, 47 Abs. 1, 56 Abs. 2 RVG, § 670, 675 BGB

Ein Zivilsenat des OLG Hamm hat jetzt mit bemerkenswerter Deutlichkeit entschieden, dass der beigeordnete Rechtsanwalt Kosten für ein Privatgutachten seiner Mandantschaft als notwendige Auslagen im Sinne von § 46 RVG geltend machen kann und sogar gemäß § 47 RVG auf diese Auslagen einen Vorschuss verlangen kann.

Zunächst war einem Rechtsanwalt durch das Landgericht ein entsprechender Kostenvorschuss versagt worden. Die dagegen gerichtete Beschwerde war zulässig und begründet. Insbesondere hat das OLG Hamm herausgestellt, dass der Abschluss der Instanz – bei eingelegtem Rechtsmittel – das Rechtsschutzbedürfnis bestehen bleiben lässt:

Dem Antrag fehlt nicht deshalb des Rechtsschutzbedürfnis, weil das Landgericht bereits am 27.02.2013 die mündliche Verhandlung geschlossen hat und der Kläger aufgrund dessen nicht mehr die Möglichkeit hat, das durch das Landgericht eingeholte Sachverständigengutachten mit Hilfe eines Privatgutachtens anzugreifen. Der Kläger hat im Falle der Zubilligung eines Kostenvorschusses zumindest die Möglichkeit im Falle eines auf das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen gestützten ihn beschwerenden Urteils des Landgerichts, dieses im Wege der Berufung gestützt auf ein Privatgutachten anzugreifen.

 

Kleiner Haken bei der Sache ist die “schwammige” Formulierung des § 46 Abs. 1 RVG hinsichtlich der Auslagen des Rechtsanwaltes:

Der Prozessbevollmächtigte des Klägers kann nach § 47 Abs. 1 RVG wegen seiner Vergütung einen Vorschuss beanspruchen. Zu der Vergütung zählen auch die Auslagen des Rechtsanwalts, es sei denn, sie waren nach § 46 Abs. 1 RVG zur sachgemäßen Durchführung des Auftrages nicht erforderlich.

Es bleibt also am Ende der Entscheidung der Justiz bzw. der Gerichte überlassen, was “erforderlich” zur “sachgemäßen” Durchführung des Auftrages war. Was “sachgemäß” und “erforderlich” ist, sehen Richter bekanntlich häufig anders als Anwälte.

Jedenfalls grundsätzlich sind Kosten eines Privatgutachtens zu erstatten:

Die Aufwendungen für die Einholung eines Privatgutachtens stellen im vorliegenden Fall Auslagen des Rechtsanwalts dar. Hierzu rechnen Aufwendungen des Rechtsanwalts, die der beigeordnete Rechtsanwalt tätigt, weil seine Partei hierzu nicht in der Lage ist, wie z. B. die Bezahlung von Privatgutachterkosten (vgl. dazu Zöller/Geimer § 121 ZPO Rdnr. 39 mit weiteren Nachweisen, § 122 ZPO Rdnr. 7, OLG Stuttgart KoRsp § 126 BRAGO Nr. 20 mit Anmerkung Schneider, Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 24.10.1994 AZ: 11 L 6302/91, Tz. 2, 3).

Zu den Auslagen im Sinne des § 46 Abs. 1 RVG, rechnen alle Aufwendungen, die der beigeordnete Rechtsanwalt aufgrund des Mandantenverhältnisses nach §§ 670, 675 BGB von seinem Mandanten beanspruchen kann, denn § 46 Abs. 1 RVG beinhaltet keine Begrenzung der Erstattungsfähigkeit auf bestimmte Ausgabenarten (vgl. Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht aaO). Zu den nach § 670 BGB erstattungsfähigen Aufwendungen rechnen auch Privatgutachterkosten, wenn sie der Rechtsanwalt nach den Umständen für erforderlich halten darf. Da dies immer dann der Fall ist, wenn die Aufwendungen zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig sind, besteht insoweit zwischen § 670 BGB und § 46 Abs. 1 RVG ein Gleichklang.

Sodann weist das OLG Hamm – sehr zutreffend – darauf hin, dass anderenfalls bedürftige Parteien strukturell im Rahmen unserer Rechtsordnung behindert würden:

Anderenfalls ergäbe sich eine systemwidrige Lücke im Rechtsschutz der bedürftigen Partei. Die Partei hat auch im Falle der Prozesskostenbewilligung Auslagen selbst aufzubringen (vgl. Zöller/Geimer § 122 ZPO Rdnr. 7). Ihr kann aus diesem Grund für die Begleichung von Privatgutachterkosten kein Vorschuss gezahlt werden.

Würde man dann die von dem beigeordneten Rechtsanwalt vorgestreckten Aufwendungen für ein Privatgutachten nicht als Auslagen des Rechtsanwalts anerkennen, liefe dies auf eine Behinderung der bedürftigen Partei bei der auch ihr zustehenden umfassenden Wahrnehmung ihrer Rechte hinaus, denn sie müsste- wäre die Finanzierung nicht sichergestellt – auf eine zur Durchsetzung ihrer Rechte gebotene sachverständige Hilfe anders als die solvente Partei verzichten.

Auch Anhaltspunkte für die Frage, wann die Einholung eines Privatgutachtens als Zweitgutachten erforderlich ist, gibt das OLG Hamm wertvolle Hinweise. Es zeigt zwei Fallgruppen auf, in denen die Erforderlichkeit und damit auch die Erstattungsfähigkeit angezeigt ist. Erstens der Erwerb von Sachkunde, um ein gerichtliches Gutachten angreifen zu können. Zweitens die Wiederherstellung der Waffengleichheit.

In Bezug auf prozessbegleitend eingeholte Privatgutachten ist die Erstattungs-fähigkeit entsprechender Aufwendungen allerdings insoweit eingeschränkt, dass es Sache des Gerichts ist, Beweiserhebungen durch Einholung von Sachverständigen-gutachten durchzuführen. Die Rechtsprechung hat die Erstattungsfähigkeit prozessbegleitender Privatgutachten aber dann bejaht, wenn es darum geht, ein gerichtliches Gutachten zu überprüfen, zu widerlegen oder zumindest zu erschüttern (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.11.2001, AZ: 8 W 481/01, Tz. 6, sowie Beschluss vom 11.07.2007, AZ: 8 W 265/07 Rdnr. 11; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2001, AZ: 4 W 2053/01, Tz. 14; OLG Koblenz, Beschluss vom 21.08.2007, AZ: 14 W 608/07, Tz. 5; OLG Celle, Beschluss vom 25.07.2008, AZ: 2 W 148/08, Tz. 3) oder wenn eine Partei auf die Hinzuziehung eines Sachverständigen angewiesen ist, um ihrer Darlegungs- und Beweislast zu genügen, Beweisangriffe abzuwehren oder Beweisen des Gegners entgegentreten zu können (vgl. dazu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27.02.1997, AZ: 10 W 21/97 Tz. 4; OLG Nürnberg, Beschluss vom 18.06.2001, AZ: 4 W 2053/01, Tz. 14; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30.08.2006, AZ: 10 W 52/06, Tz. 11; OLG Koblenz, Beschluss vom 21.08.2007, AZ: 14 W 608/07, Tz. 5; OLG Celle, Beschluss vom 25.07.2008, AZ: 2 W 148/08, Tz. 3) oder wenn die Einholung des Gutachtens der Wiederherstellung der Waffengleichheit dient (vgl. dazu OLG Stuttgart, Beschluss vom 11.07.2007, AZ: 8 W 265/07, Tz. 11; Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 30.08.2006, AZ: 10 W 52/06, Tz. 11; OLG Karlsruhe, Beschluss vom 26.03.2007, AZ: 15 W 7/07 Tz. 9).

Der Aspekt der Wiederherstellung der Waffengleichheit sollte vermehrt insbesondere im Rahmen von Strafverfahren geltend gemacht werden. Oft liegen dort eine Vielzahl von Gutachten der Ermittlungsbehörden vor, die einen ganzen Stab von Gutachtern beschäftigen. Hier kann die Verteidigung überhaupt nur dann auf Augenhöhe – also mit “Waffengleichheit” agieren, wenn sie selbst Gutachter beschäftigt. Sofern der Mandant hier (oft auch “nur” temporär) nicht leistungsfähig ist, sollten entsprechende Vorschüsse angefordert werden.

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