Der Einsatz eines Polygraphen (Lügendetektor) ist auch im deutschen Strafprozess möglich. Jedenfalls dann, wenn der Lügendetektortest bei dem Beschuldigten oder einem Zeugen freiwillig erfolgt.
Das sagt zumindest das Amtsgericht Bautzen (Urt. v. 26.03.2013 – 40 Ls 330 Js 6351/12). Der Volltext ist beim Kollegen Burhoff erhältlich.
Wann kann ein Lügendetektor im Strafprozess eingesetzt werden?
Das AG Bautzen stellt dabei folgende Kriterien auf, bei deren Vorliegen ein Lügendetektortest vom Strafgericht im Strafprozess verwertet werden kann.
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die physiopsychologische Untersuchung muss freiwillig erfolgen,
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sie muss in einem geordneten gerichtlichen oder staatsanwaltschaftlichen (Ermittlungs-) Verfahren nach erklärter Freiwilligkeit angeordnet worden sein
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die Begutachtung muss durch einen hierfür zertifizierten Sachverständigen unter Laborbedingungen mittels mindestens vier gemessenen Parametern (relative Blutdruckschwankungen, Atmung, elektrischer Hautwiderstand, vasomotorische Aktivität) erfolgen
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das Polygraphentestverfahren muss die Tatfrage an sich betreffen, und
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das physiopsychologische Befundergebnis darf lediglich zur Entlastung des Angeklagten allein oder neben anderen (Indizien-)Tatsachen verwertet werden.
Wieso soll der Lügendetektor nach Auffassung des BGH nicht eingesetzt werden?
Die erfreuliche Entscheidung steht zwar leider im Widerspruch zur eindeutigen Rechtsprechung des BGH, aber bekanntermaßen muss nicht jede obergerichtliche Rechtsprechung automatisch richtig sein. Der BGH hatte zuletzt zum Einsatz des Lügendetektors im Strafverfahren ausgeführt:
“Denn gegen einen auch nur geringfügigen indiziellen Beweiswert des Ergebnisses einer mittels eines Polygraphen vorgenommenen Untersuchung bestehen die im Urteil des Senats vom 17. Dezember 1998 (1 StR 156/98, BGHSt 44, 308, 323 ff.) dargelegten grundsätzlichen Einwände betreffend den hier allein in Rede stehenden sog. Kontrollfragentest uneingeschränkt weiter. Es wäre deshalb sogar ohne Belang, wenn die Ansicht der Revision richtig wäre, dass inzwischen „eine hinreichend breite Datenbasis“ einen Zusammenhang von mittels des Polygraphen gemessenen Körperreaktionen mit einem bestimmten Verhalten belegen würde. Dies ist aber nicht der Fall. Hierfür genügt die von der Revision angeführte Simulationsstudie mit lediglich 65 Versuchspersonen (vgl. H. Offe/S. Offe, MschrKrim 2004, 86) – bereits ungeachtet methodischer Einwände – nicht. Auch einem maßgeblichen Beitrag amerikanischer Wissenschaftler, die nach eigenem Bekunden einen Großteil ihrer bis zu 40jährigen Laufbahn der Forschung und Entwicklung polygraphischer Techniken gewidmet haben, lassen sich neuere Studien – noch dazu, wie die Revision vorträgt, „an realen Verdächtigen“ – nicht entnehmen (vgl. Honts/Raskin/Kircher in Faigman/Saks/Sanders/Cheng, Modern Scientific Evidence, The Law and Science of Expert Testimony, Volume 5 [2009], S. 297 ff.).” (BGH 1 StR 509/10)
Warum die Rechtsprechung des BGH zum Ploygraphen nicht nachvollziehbar ist
Die Rechtsprechung des BGH ist aus diversen Gründen, die hier in der Kürze nicht dargelegt werden können, nicht nachvollziehbar. Verkürzt dargestellt beruft sich der BGH darauf, dass die wissenschaftliche Grundlagenarbeit unzureichend sei und die Fehlerquote der Methode zu hoch. Nach dieser Massstäben müssten jedoch zahlreiche weitere forensische Wissenschaften und Methoden als “völlig ungeeignete Beweismittel” eingestuft werden. Diesen Schritt geht die Rechtsprechung aber an sonst keiner anderen Stelle, vielmehr wird selbst Methoden, die eine – wissenschaftlich breit und fundiert erforschte Fehlerquote von bis zu 50% haben (also “fifty-fifty”-Chance eines falschen Ergebnisses) – immer noch ein “eingeschränkter Beweiswert” attestiert, so z.B. einer fehlerhaft durchgeführten Wahllichtbildvorlage oder einer Einzellichtbildvorlage.
An der Grundlagenforschung beim Polygraphen hat sich jedoch in den vergangenen Jahren einiges getan, was der BGH in der oben genannten Entscheidung erneut “weggewischt” hat.
Wieso ein Strafrichter, ein Schöffengericht und eine Strafkammer dennoch den Lügendetektortest als Indiztatsache verwerten dürfen
Interessant an der Entscheidung des AG Bautzen ist die gewählte Begründung. Die freie Beweiswürdigung (§ 261 StPO) wird ganz klar in den Vordergrund gestellt. Zudem werden alle wesentlichen Punkte der hochstreitigen Debatte um den Einsatz der Polygraphie im deutschen Strafprozess angesprochen:
“Im Übrigen ist ein Sachverständiger nicht schon dann ein i.S.d. § 244 III,2 StPO ungeeignetes Beweismittel, wenn er absehbar aus den Anknüpfungstatsachen keine sicheren und eindeutigen Schlüsse zu ziehen vermag; als Beweismittel eignet er sich vielmehr schon dann, wenn seine Folgerungen die unter Beweis gestellte Behauptung als mehr oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen und hierdurch unter Berücksichtigung des sonstigen Beweisergebnisses Einfluss auf die Überzeugungsbildung des Gerichts erlangen können (BGH, Urt. v. 01.12.2011, NStZ 2012, 345).
Das Schöffengericht verkennt nicht, dass der Einsatz von Polygraphentests in der forensichen Praxis umstritten ist. Zunächst ist festzuhalten, dass eine polygraphische Untersuchung weder gegen Verfassungsgrundsätze verstößt noch eine verbotene Vernehmungsmethode nach § 136a StPO darstellt, so der Beschuldigte freiwillig an einer polygraphischen Untersuchung mitwirkt (BGH 1, StR 156/98). Der Einsatz eines Polygraphen und die Verwertung der erlangten Erkenntnisse stellt keinen Verstoß gegen die Menschenwürde des Beschuldigten nach Art. 1 Abs. 1 GG dar (BGH, aaO.). Der Bundesgerichtshof konstatiert in diesem Zusammenhang, dass zwar willentlich nicht unmittelbar beeinflusste körperliche Vorgänge gemessen werden; diese ermöglichen aber keinen „Einblick in die Seele des Beschuldigten“, weshalb der Beschuldigte während der Untersuchung auch nicht zu einem „Objekt in einem apparativen Vorgang“ degradiert werde (BGH, aaO., Rz. 32, Juris-Recherche).
Keineswegs wird der Angeklagte durch eine psychologische Untersuchung zum bloßen Objekt der Ermittlungen. Denn vor der Untersuchung ist ihm bekannt, unter welchem Verdacht er steht. Die Freiwilligkeit der Testteilnahme wird ihm zu jedem Zeitpunkt bewusst gemacht, auch, dass er jederzeit die Untersuchung abbrechen kann. Darüber hinaus wird ihm erläutert, welche unwillkürlichen körperlichen Reaktionen unter Umständen auftreten können und wie diese messbar gemacht werden können. Der im Weiteren gegen die Polygraphentestuntersuchung vorgebrachte Einwand des „Einblicks in die Seele des Angeklagten“ ist schon deswegen abwegig, weil er – hier nicht vorkommende – Ähnlichkeiten mit einem „Auditingverfahren“ oder gar einer Gehirnwäsche suggeriert, worum es hier nicht im Geringsten geht. Vielmehr werden körperliche Begleiterscheingungen wie eine Art „Vergrößerungsglas“ erfasst und sichtbar gemacht (AG Demmin, Urteil vom 07.09.1998, 94 Ls 182/98).
Doch selbst, wenn man davon ausginge, dass ein – was kaum denkbar wäre – ohne Einwilligung durchgeführter Polygraphentest die Menschenwürde verletzte, so stündeArtikel 1 Abs. 1 GG einen mit Einwilligung vorgenommenen Test nicht entgegen;Artikel 1 Abs. 1 GG dient nämlich nicht der Einschränkung, sondern dem Schutz der Freiheit, über sich selbst zu verfügen (BVerfG 49, 286, 298) und greift daher als Einwilligungsschranke nicht durch.
Aus dem allgemeinen Gesetzesvorbehalt bei Grundrechten folgt im Übrigen, dass die verfassungsrechtlich gegebene Freiheit zur Disposition über ein Grundrechtsgut, nämlich das des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nach Artikel 2 Abs. 1 GG, durch ein Gesetz eingeschränkt werden kann. Einer als Ausprägung dieser Willensfreiheit geformten Einwilligung stünde der Einwilligungsvorbehalt gemäß § 136a Abs. 3 StPOdann entgegen, wenn es sich bei dem Einsatz des Polygraphen um eine verbotene Vernehmungsmethode nach § 136a Abs. 1 StPO handelte. Dem ist jedoch nicht so: Denn zum einen handelt es sich bei § 136a Abs. 3 StPO um eine staatliche Freiheitsbeschränkung, für die nach ganz herrschender Meinung ein aus dem Vorbehalt des Gesetzes abgeleitetes Analogieverbot gilt (Amelung, NStZ 81, 446). Darüber hinaus fehlt es an der für eine Analogie notwendigen „Gleichheit der Interessenlage“: Der Beschuldigte soll davor geschützt werden, dass die in § 136aAbs. 1 StPO genannten Vernehmungsmittel benutzt werden, einen Verdächtigen zu überführen (Amelung, aaO.) Selbst also, wenn man ein Analogieverbot verneinen würde, stünde § 136a Abs. 3 StPO einer Verwertung dann nicht entgegen, wenn das Untersuchungsergebnis lediglich zu Gunsten für den Beschuldigten verwertet würde (Amelung, aaO.) Mithin stehen der Verwertung eines Polygraphentests, sofern das Untersuchungsergebnis lediglich zu Gunsten des Beschuldigten verwertet wird, weder verfassungsrechtliche Aspekte noch solche des formellen Strafrechts entgegen.
In diesem Zusammenhang ist auch auf die europäische Rechtspraxis zu verweisen und namentlich auf die Republik Polen, das eines der europäischen Länder ist, in denen der Polygraph seit längerer Zeit bereits im Strafverfahren angewendet wird (ausführlich hierzu Jaworski, NStZ 2008, 195 ff.) .
In der Bundesrepublik ist insbesondere in Familienverfahren das Ergebnis einer physiopsychologischen Befragung einer der Verfahrensparteien bei der Entscheidung über das Recht zum persönlichen Umgang mit dem Kind nach § 1634 BGB als zulässig angesehen worden (u.a. OLG Bamberg, NJW 1995, 1684), ebenso das Oberlandesgericht Koblenz (Beschluss vom 23. Juli 1996, AZ: 15 UF 121/96) und das Oberlandesgericht Dresden (AZ: 24 WF 1201/10 v. 31.03.2011). Ob die so formulierte „Durchleuchtung einer Person“ ein unzulässiger Eingriff in das durch Artikel 2 Abs. 1 i.V. mit Artikel 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeitsrecht des jeweiligen Betroffenen erkannt werden muss, hat die 3. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts in einem Nichtannahmebeschluss für den Fall der Einwilligung des Beschuldigten in die Anwendung eines Polygraphen ausdrücklich offen gelassen (BVerfG, StraFo 1998, 16). Der Bundesgerichtshof stuft die polygraphische Untersuchung im Ergebnis als ein ungeeignetes Beweismittel lediglich aus Gründen der Validität der Untersuchungsergebnisse ein und kritisiert das Verfahren anhand der im Rahmen einer physiopsychologischen Untersuchung vorgenommen Kontrollfragen (BGH, 1 StR 156/98). Auf den Aspekt des so genannten „Friendly-Examiner-Syndrom“, also der Proband müsse annehmen, ein für ihn ungünstiges Ergebnis werde in derselben Weise Berücksichtigung finden wie ein günstiges, weswegen verlässliche Resultate von vornherein zweifelhaft sind, was der Bundesgerichtshof in seinem Beschluss vom 14. Oktober 1998 (AZ: 3 StR 236/98) noch hervorgehoben hat, hält er in seiner Entscheidung vom 17.12.1998 (BGH 1 StR 156/98) nicht mehr für entscheidungserheblich. Dies deshalb, weil er dem den Kontrollfragenverfahren als wesentliche Prämisse zu Grunde liegenden Unterschied bezüglich des Erregungszustandes zwischen Täter und Nichttäter schon bei tatbezogenen Fragen nicht als zwingend ansieht (BGH, aa.O). Im Wesentlichen stützt sich der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung auf ein von Steller erstattes Gutachten, wonach der Proband neben physischen Tätigkeiten (z.B. „Beißen auf die Zunge“) auch mentale Aktivitäten entwickeln könne, wie etwa thematisch abweichende Gedankenarbeit, beispielsweise das Lösen von Rechenaufgaben. Derart manipulierende Mittel seien kurzfristig erlern- und trainierbar (Nachweise in BGH, aaO, Juris-Recherche, dort Rz. 71).
Diesem Einwand manipulativer Techniken ist jedoch entgegen zu halten, dass allein die Kenntnis des Beschuldigten, der Test werde keinesfalls zu seinen Ungunsten verwertet, „den tatbezogenen Fragen noch lange nicht die Bedrohlichkeit nimmt; denn letztendlich verlöre der Proband nicht nur vor dem Untersucher sein Gesicht, sondern auch meist vor seinem Verteidiger, in nicht wenigen Fällen sogar vor nahen Angehörigen“ (Putzke/Scheinfeld/Klein/Undeutsch: Polygrafische Untersuchungen im Strafprozeß, ZStW 2009,607,619)
Bezüglich der Treffsicherheit physiopsychologischer Untersuchungen zur Verdachtsabklärung ist auf die Untersuchung von Undeutsch/Klein 1999 hinzuweisen, wonach eine als „pilot study“ unter Feldbedingungen an 66 Versuchspersonen durchgeführte Untersuchung eine Treffgenauigkeit von 98,5 % ergab (Undeutsch/Klein, Wissenschaftliches Gutachten zum Beweiswert physiopsychologischer Untersuchungen, Praxis der Rechtspsychologie 1999, S. 73 bis 77). Die Überlegenheit physiopsychologischer Verfahren gegenüber anderen Methoden der forensischen Aussageuntersuchungen hat Steller (derselbe!) begründet, indem er hervorhob, dass die in der forensischen Praxis in der Bundesrepublik Deutschland im großen Umfang angewendete „rein“ psychologische Aussagebegutachtung „nicht annähernd so gründlich wissenschaftlich überprüft wurde wie die physiopsychologische Methode“ (Steller, in: Wegener 1981, S. 56 f, mN). Soweit im Weiteren die Treffsicherheit physiopsychologischer Untersuchungen hinsichtlich der Verdachtsabklärung damit begründet wird, es stünden nicht ausreichend valide Zahlen insbesondere durch Feldstudien in prozentualer Errechnung von so genannten „Trefferquoten“ vor (BGH 1, StR 156/98, Jurisrecherche, Rz. 56 ff. ), ist dem entgegenzuhalten, dass bei dem bislang durchgeführten „rein aussagepsychologischen“ Begutachtungen belastbare Zahlen ebenso wenig vorliegen.
Wenig nachvollziehbar ist die in diesem Zusammenhang erhobene Kritik an den physiopsychologischen Untersuchungsmethoden schon deshalb, weil beispielsweise eine Treffgenauigkeit von „nur“ 75 % als zu ungenau angesehen werde. Im Vergleich mit „herkömmlichen“ rein aussagepsychologischen Begutachtungen ist die Forderung nach einer Treffgenauigkeit wie bei einem serologischen oder DNA-Gutachten wenig seriös (Willutzki, Zur rechtlichen Zulässigkeit des Polygraphentests in familiengerichtlichen Verfahren in Salzgeber/Stadler/Willutzki Polygraphie. Möglichkeiten und Grenzen physiopsychologischer Aussagebegutachtung, Köln, 2000, 101). Die Genauigkeit der Methode wird – wie hier – auch dadurch erhöht, dass nicht nur drei Parameter gemessen werden (Blutdruck, elektrischer Hautwiderstand und Atmung), sondern auch vasomotorische Aktivitäten, also Gefäßverengung und Gefäßerweiterung).” (AG Bautzen, aaO)
Keine “Einmischung” in die freie Beweiswürdigung des Tatrichters durch den BGH
Das Gericht setzt sich in seiner Entscheidung natürlich auch mit der Auffassung des BGH auseinander und kommt zu dem m.E. zutreffenden Ergebnis, dass die Ablehnung des Polygraphen als “völlig ungeeignetes Beweismittel” einen unzulässigen Eingriff in die freie Beweiswürdigung des Tatgerichts nach § 261 StPO darstellt:
“Im Übrigen ist der freien richterlichen Beweiswürdigung kein Grundsatz dergestalt zu entnehmen, dass eine wissenschaftliche Methode in der Praxis als brauchbar oder unbrauchbar erst ab einem bestimmten Grad von Wahrscheinlichkeit anzusehen wäre. Dann aber darf man die physiopsychologische Untersuchung durch Einsatz eines Polygraphentests nicht von vornherein als völlig ungeeignetes Beweismittel im Sinne von § 243 Abs. 3 Satz 2 StPO ansehen. Dass etwa im Bereich des Familienrechts – wie oben dargestellt – Polygraphentests als nicht nur zulässig, sondern mit Beweiswert versehen angesehen werden, im Strafverfahren jedoch deren Validität angezweifelt wird, ist nicht nur unverständlich, sondern stellt die Einheitlichkeit der Rechtsordnung in Fragen des Beweisrechts an sich auf den Kopf. Mag das Beweis- und Beweismittelrecht in den unterschiedlichen Verfahrensarten auch divergent ausgestaltet sein, so kann ein Beweismittel in bestimmten Verfahren doch nicht aufgrund fehlender Validität als ungeeignet angesehen werden, wenn dieser Umstand in anderen Verfahrensarten, insbesondere in Familienrechtsverfahren, überhaupt nicht in Abrede gestellt wird.” (AG Bautzen, aaO)
Auch die (verfehlten) Einwände des BGH (vgl. BGH 1 StR 165/98), die vom Gutachter gewählten Kontrollfragen seien für das Gericht nicht überprüfbar,
“ … Die Auswahl der Kontrollfragen ist im wesentlichen abhängig von der Person des Untersuchers und seiner Erfahrung mit dem Testverfahren. Sie ist methodisch daher als intuitiv zu bezeichnen.
…
Infolgedessen ist vor allem dem Gericht eine diesbezügliche Kontrolle ebenfalls verwehrt. Es müßte die Untersuchungsergebnisse und die darauf gestützten Schlüsse hinnehmen, ohne diese nachvollziehen und überprüfen zu können. Das Gericht könnte die nach der Strafprozeßordnung ausschließlich ihm zugewiesene Kompetenz nicht wahrnehmen und würde damit zugleich seiner Aufgabe, eine eigen- und letztverantwortliche Entscheidung zu treffen, nicht gerecht werden (vgl. zu diesem Gesichtspunkt Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt, Urt. 26. November 1997 – Verf.Nr. 371/1995; U.S. District Court D. Arizona aaO).” (BGH 1 StR 156/98)
weswegen dem Gericht die Kontrolle des Sachverständigen entgegen § 78 StPO nicht mehr möglich sei, weist das AG Bautzen unter Hinweis auf die freie Beweiswürdigung zurück:
“Soweit dem physiopsychologischen Verfahren entgegengehalten wird, es gäbe für den Untersucher keine zuverlässigen Möglichkeiten objektiver Überprüfung des Untersuchungsablaufes, weswegen er nicht feststellen könne, ob und inwieweit ihm Auswahl und Formulierung der Kontrollfragen in dem methodischen Ansatz gelungen, also tatsächlich auf die Person des Beschuldigten und den spezifischen Tatvorwurf zugeschnitten sind (vgl. BGH 1, StR 156/98, Juris-Recherche, Rz. 52) und infolgedessen dem Gericht eine diesbezügliche Kontrolle ebenfalls verwehrt sei, weswegen es die Untersuchungsergebnisse und die darauf gestützten Schlüsse hinnehmen müsse, ohne sie nachvollziehen und überprüfen zu können, ist dem der Grundsatz der freien Beweiswürdigung ( § 261StPO) entgegen zu setzen, was es dem Gericht ermöglicht, ein Beweismittel nicht zu berücksichtigen, von dessen Beweiswert es nicht überzeugt ist. Denn im Rahmen der Beweiswürdigung hat das Gericht ohnehin die Pflicht, die Beweise vollständig zu würdigen und insbesondere bei einem Sachverständigengutachten, gleich welcher Art, nicht ausschließlich – wie häufig in der Praxis beobachtet – das zusammenfassende Gesamtergebnis des Sachverständigengutachtens zu bewerten, sondern sich intensiv mit der Methodik und der Darstellung und dem Zustandekommen des Sachverständigenbeweises zu befassen. Nichts anderes gilt bei der Beurteilung von rein aussagepsychologischen Begutachtungen oder auch unfallanalytischen Untersuchungen. Weshalb also vor diesem Hintergrund diese „zusätzliche Indizquelle verstopft“ (Putzke/Scheinfeld: Entlastungsbeweis: polygraphische Untersuchung – Taktisches zur Beweismittelerhebung im Strafverfahren, StraFo 2010, 58, 61) werden soll, ist unverständlich.“ (AG Bautzen, aaO)
Lügendetektor als letzte Chance?
Die Entscheidung zeigt deutlich, dass der Lügendetektor im deutschen Strafprozess eingesetzt werden kann. Polygraphie ist in vielen Fällen, insbesondere wenn aussagepsychologische Gutachten hinsichtlich den Angeklagten belastender Aussagen vorliegen, die letzte Chance auf “Waffengleichheit” für den Angeklagten und die Verteidigung. Denn nur so kann man dem aussagepsychologischen Sachverständigengutachten ein Sachverständigengutachten bezogen auf die Aussage des Angeklagten entgegensetzen, da eine aussagepsychologische Begutachtung der Einlassung des Angeklagten in aller Regel aus methodischen Gründen nicht durchführbar ist.
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